Wasserstoffperoxid als Raketentreibstoff

Wasserstoffperoxid

Grüner Treibstoff für Raketen

Sobald der Countdown abläuft, setzt ein schier ohrenbetäu­bendes Getöse ein und schon jagt die Weltraumrakete himmelwärts. Um das tonnenschwere Gerät in den Orbit zu bringen, sind immense Antriebskräfte vonnöten. Sojus-Raketen setzen dabei auf Wasserstoffperoxid. Ihm wird sogar das Potenzial zuge­sprochen, der Treibstoff für die nächste Evolutionsstufe in der Raketentechnologie zu sein.

„Die Sojusrakete ist das Workhorse der Weltraumfahrt“, bringt es Dr. Philipp Christ auf den Punkt. Christ ist Laborleiter des globalen Prozesslabors der Business Line Active Oxygens in Hanau bei Frankfurt und er muss es wissen. Die Raumfahrt zählt schließlich zu seinen Arbeitsschwerpunkten. Die Sojus-Raketentechnologie ist zwar nicht neu, sie gilt aber als überaus zuverlässig und vergleichsweise günstig. Nach der Einstellung des Spaceshuttle-Programms ist die Sojus die derzeit einzige Rakete, die bemannte Raketenstarts sicher durchführen kann. 2011 startete vom europäischen Weltraumbahnhof Kourou in Französisch-Guayana eine Sojus-ST-Trä­gerrakete erstmals mit PROPULSE®, dem von Evonik für Antriebssysteme entwickel­ten Wasserstoffperoxid. „Unser Wasserstoffperoxid wird in den Turbopumpen eingesetzt, um die eigentlichen Treibstoffe Kerosin und flüssigen Sauerstoff unter hohem Druck in die Brennkammern zu transportieren“, erklärt der 35-jährige Che­miker. H2O₂ist gewissermaßen der Turbolader, um der gewaltigen Rakete den Sprit zuzuführen. Einige Tonnen PROPULSE® werden dafür gebraucht, um die rund 300 Tonnen schwere Sojusrakete in den Orbit zu entsenden.

Nach oben sind keine Grenzen gesetzt!

PROPULSE® 825, das hoch konzentrierte Wasserstoff­peroxid von Evonik - 82,5 Prozent - wird in den Turbopumpen eingesetzt, um die eigentlichen Treibstoffe - Kerosin und flüssiger Sauerstoff - in die Brennkam­mern zu transportieren.

Sehen Sie hier den Start der Soyus MS09 Rakete - mit PROPULSE® 825!!!

... besteht darin, Raketen beim Start schnell genug mit Kerosin zu versor­gen, damit diese auf dem Weg ins Weltall die Schwerkraft überwinden können.

BIS ZU 30.000 UMDREHUNGEN IN DER MINUTE

In der Sojus-Rakete entfaltet Wasserstoffperoxid denkbar einfach seine Wirkung. H₂O₂ wird in der Treibstoffpumpe mit einem manganhaltigen Katalysator in Kontakt gebracht. Daraufhin zersetzt sich das Oxidationsmittel unter großer Hitzeentwick­lung in seine Einzelteile Wasserdampf und gasförmiger Sauerstoff. Beide sorgen durch die entstandene Volumenexpansion dafür, dass die Treibstoffpumpe mit bis zu 30.000 Umdrehungen in der Minute den flüssigen Sauerstoff und das Kerosin in die Brennkammern jagt, wo der notwendige Schub für den Raketenstart erzeugt wird. Bis die Sojus im All ist, ist das Wasserstoffperoxid an Bord fast vollständig ver­braucht. Produziert wird das Produkt übrigens in Rheinfelden, wo es schon seit über 100 Jahren H₂O₂ hergestellt wird. „Von dort schicken wir es mit speziell gefertigten Thermo-Containern in die ganze Welt“, so Christ. „Die Container verfügen dabei über ein Druckentlastungssystem sowie Temperatur- und GPS-Überwachung.“

Hochkonzentriertes Wasserstoffpero­xid, das explosionsartig die Turbopum­pen einer Rakete antreibt: Dadurch erst werden ausreichend Kerosin und flüssiger Sauerstoff in die Triebwerke gedrückt.

Evonik kann durch ein selbst entwi­ckeltes Verfahren H2O2 mit einer Kon­zentration von bis 98 Prozent herstellen. Damit könnten zukünftig kleinere Satelliten und Raketen auf Wasserstoffperoxid als alleinigen Treibstoff zurückgreifen.

Green rocketry

Wasserstoffperoxid als ein alternativer Treibstoff für Raketen ist zuletzt wieder in den Fokus gerückt, da es im Gegensatz zu den gängigen Antriebsstoffen sehr viel umweltverträglicher ist. „Jeder kennt aus den Nachrichten die zum Teil riesigen braunen Wolken, die beim Start von Weltraumraketen entstehen“, bemerkt der Evonik-Mitarbeiter. Dabei werden enorme Mengen von Stickoxiden freigesetzt. Zudem ist das ebenfalls als Treibstoff verwendete Hydrazin krebserregend, weshalb die EU überlegt, es zu verbieten. H₂O₂ weist demgegenüber keine dieser negativen Begleiterscheinungen auf. „Wasserstoffperoxid steht für eine sogenannte Green-Ro­cketry, da es beim Zersetzungsprozess keine schädlichen Stoffe für Mensch und Natur freisetzt“, zeigt sich Christ überzeugt.

H₂O₂ ALS ANTRIEBSSTOFF MIT DIVERSEN VORTEILEN

„H₂O₂ ist trotz seiner hohen Energiedichte einfach zu handhaben und bringt die für die Antriebstechnik notwendigen Zersetzungsprozesse leicht in Gang.“ In den ver­gangenen Jahren befasste sich das von der Europäischen Union geförderte HYPRO­GEO-Projekt explizit mit Wasserstoffperoxid als leistungsstarken, sicheren und umweltschonenden Treibstoff für die Raumfahrt. Die wässrige Lösung würde dann also nicht mehr nur die Turbopumpe in Gang setzen, sondern zusammen mit einem zweiten Treibstoff für den Antrieb der ganzen Rakete sorgen. „Antrieb wird fast immer durch eine Verbrennung erzeugt und die benötigt Sauerstoff. Diesen kann das H₂O₂ im Zuge seines Zersetzungsprozesses liefern“, weiß Christ. „Das Resultat wären Hybrid-Raketen, die auf Wasserstoffperoxid und beispielsweise Polyethylen als Antriebsstoffe setzen. Bei Letzterem handelt es sich um einen einfachen Kunststoff, aus dem auch Einkaufstüten hergestellt werden.“

GUTE AUSSICHTEN BEI KLEINEREN RAKETEN UND MINISATELLITEN

Und der Laborleiter sieht noch einen weiteren Grund, warum Wasserstoffperoxid eine Zukunft in der Weltraumfahrt hat. „Der gesamte Markt ist gerade dabei, den nächsten Evolutionsschritt zu durchlaufen. Der Trend geht hin zu kleineren Raketen und Mikrosatelliten. H2O2 kommt dabei aufgrund seiner guten Handhabung eine gewichtige Rolle als Treibstoff zu. Es erlaubt auch kleineren Unternehmen, mit einfachen Mitteln Raketen zu bauen.“ So setzen schon heute zahlreiche Start-ups auf der ganzen Welt Wasserstoffperoxid als grünen Treibstoff in den jüngsten Raketengenerationen ein.

98-PROZENTIGES H₂O₂

Positive Aussichten für die Business Line Active Oxygens, verfügt sie doch bei Wasserstoffperoxid über eine jahrzehntelange Expertise und ist führend im Weltmarkt, was die globale Verfügbarkeit und das Know-how beim Transport betrifft. In der Raketentechnologie sind bei H2O2 hohe Konzentrationen von mindestens 80 Gewichtsprozent erforderlich. „Ein Kilogramm der Lösung besteht also zu 800 Gramm aus reinem Wasserstoffperoxid und zu 200 Gramm aus Wasser. Je höher die Konzentration, desto höher der Energiegehalt und desto besser ist es für die Antriebsraketen“, so Christ. „Im regulären Produktionsprozess erhält man eine Konzentration von 40 bis 50 Prozent. Um es auf über 80 Prozent anzureichern, werden besondere Produktionsverfahren angewendet, indem beispielsweise das Wasser sukzessive abdestilliert wird.

Wir sind allerdings schon in der Lage eine 98-prozentige Lösung herzustellen.“ Dies gelang im Rahmen des erwähnten HYPROGEO-Projekts. 2017 konnte das hochkonzentrierte Wasserstoffperoxid von Evonik seine Praxistauglichkeit bereits nachweisen. Bei Tests eines neu entwickelten Triebwerks für Hybrid-Raketen wusste die höchste bislang erzielte H2O2-Konzentration zu überzeugen.

Dies war eine wichtige Entwicklung im Rahmen des oben erwähnten HYPROGEO-Projekts. 2017 bewährte sich die Wasserstoffperoxidlösung von Evonik mit der höchsten jemals erreichten H2O2-Konzentration in der Praxis und lieferte beeindruckende Ergebnisse bei Tests eines neu entwickelten Triebwerks für Hybridraketen.

FÜR DAS NAVIGIEREN VON SATELLITEN GEEIGNET

Die 98-prozentige Lösung wäre zudem bestens für Satellitenantriebe geeignet, denn jedes Kilogramm, das mehr in den Weltraum gebracht werden muss, kostet auch mehr. Bei 98-prozentigem Wasserstoffperoxid enthält die Lösung also kaum noch Wasser, das als Ballast gilt, dafür aber enorm viel Energie. Dies käme Satelliten zugute, die auf H2O2 als alleinigen Treibstoff zurückgreifen, um Lenkmanöver im All zu absolvieren. Das sich zersetzende Wasserstoffperoxid würde dafür schon ausreichen. Es hat damit das Potenzial, die Raumfahrt- und Satellitentechnologie auf das nächste Level zu heben.

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